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Unkonventionell

Letzten Monat bat ein befreundeter Dozent an einer norwegischen Universität mich und einige andere Fotografen, einen Videoclip mit einem kurzen motivierenden Tipp für seine Fotografiestudenten aufzunehmen.
Das brachte mich zum Nachdenken, da ich diesen Monat sechzig geworden bin und seit meiner Teenagerzeit fotografiere.
Welchen Tipp hätte ich gern als junger Teenager erhalten, der gerade erst in dieses Geschäft einstieg?
Hier ist das Video und nachfolgend mein Ansatz an unkonventionelles Denken als kreativer Fotograf, plus einige weitere Ratschläge.


Ein BBC-Antennentechniker bei der Arbeit. Foto von John Robertson.

Manchmal ist es gut, über das offensichtliche Foto hinauszublicken. Das Motiv von der Seite zu betrachten.
Die Zeitung The Guardian beauftragte mich Anfang der 1990er, den Abriss der berühmten ‚World Service‘-BBC-Sendenanlage in Daventry zu fotografieren. Die Station am Borough Hill, die seit 1922 und vor allem während des 2. Weltkriegs gesendet hatte, wurde nun letztlich geschlossen.
Als ich dort ankam, musste ich mich einem ernsten Problem stellen – dichtem Nebel! Die Sendemasten waren unter einer weißen Decke davon verschwunden.
Schließlich klärte sich der Nebel so weit auf, dass ich einen der Techniker, der begann nach oben zu klettern, mit einem 20mm-Objektiv und Blick nach oben in das Gebilde fotografieren konnte. Der Nebel isolierte den Pylon und ließ das Foto grafischer erscheinen als es bei gutem Licht gewesen wäre. The Guardian druckte das Foto auf einer halben Seite und ich erfuhr, dass man durch unkonventionelles Denken ein Problem zu einem Vorteil machen kann!


Ein Zuschauer bei der Henley Royal Regatta taucht ab. Fotos von John Robertson.

Oft müssen wir als Fotojournalist schnell auf eine Situation reagieren, ohne zu viel nachzudenken. Eigentlich instinktiv. Aber manchmal entsteht ein Foto auch, weil wir darüber nachdenken.
Ein Beispiel ist, als ich für den Telegraph über die Henley Royal Regatta berichtete.
Die erste Bilderreihe war ein wenig die schlimmste, weil ein Zuschauer das Gleichgewicht verlor. Ich reagierte auf die Situation und hatte das Glück, es als motorbetriebene Sequenz einzufangen.
Das zweite Beispiel aus dem gleichen Auftrag macht anschaulich, wie ein paar mehr Gedanken in den Bildentstehungsprozess einfließen.


Picknick am Ufer der Themse. Foto von John Robertson.

Ich hatte gesehen, wie die Zuschauer ihr Picknick mit Sekt und Erdbeeren genossen und dies erinnerte mich an das berühmte Foto ‚Ein Picknick am Ufer der Marne‘ von Henri Cartier-Bresson. Wie schön wäre es, wenn ein Boot vorüber fahren würde, dachte ich mir. Leider tat es das nicht, also gab ich die Idee auf und zog weiter.
Etwa eine halbe Meile weiter entlang des Themse-Flusses erschien plötzlich eine Gondel, die auf die Stelle zusteuerte, an der ich die Picknicker gesehen hatte. Ich stellte wahrscheinlich einen neuen Weltrekord auf, als ich wieder an die Stelle zurückeilte und gerade rechtzeitig ankam, um drei Aufnahmen zu machen, während die Gondel vorbei zog.
Erst nachdem die Gondel weg war, bemerkten die Picknicker, dass ich Fotos gemacht hatte!
Ich möchte meine bescheidene Aufnahme nicht mit dem Werk des Meisters vergleichen, aber in den Telegraph hat sie es geschafft.


Mein Foto in The Guardian von der angsteinflößenden Schwarzen Witwe. Foto von John Robertson.

Kreative Fotografie beinhaltet häufig Problemlösen. Mein Foto einer Schwarzen Witwe für The Guardian ist ein gutes Beispiel dafür.
In der Woche, bevor ich eintraf, um das giftige Spinnentier zu fotografieren, hatte eine BBC-Fernsehcrew die Schmetterlings- und Insektenfarm besucht und sah sich mit dem gleichen Problem konfrontiert wie ich. Nämlich eine doppelte Schicht Glas in ihrem neuen Zuhause – stark spiegelndem Glas.
Eine einfache Lösung, die die BBC-Kamera-Crew rasch fand – einfach die Spinne aus dem Glaskasten nehmen!
Das ist zwar toll für das Foto, erwies sich aber für den Halter als nicht ganz so toll. Die Spinne lief die Zange hinauf, die er verwendete, und setzte sich prompt auf seinen bloßen Arm, wo sie blieb, während er ein wenig mehr schwitzte als üblich. Währenddessen filmte der Kameramann mit schauriger Faszination weiter.
Letztlich brachte der Halter den Mut auf, die Spinne wieder in ihr Gehege zurückzubringen. Verständlicherweise war er nicht zu erpicht darauf, dieses Erlebnis zu wiederholen, nur damit ich ein paar Fotos machen könnte.
In diesem Fall gehörte für mich zum unkonventionellen Denken ein unkonventioneller Kauf, nämlich der einer Acrylglasbox mit Pralinen. Das Team bekam etwas zu naschen, der Halter setzte die Spinne mit Leichtigkeit in die Box und verschloss den Deckel und ich konnte ein Foto machen, das es in die Zeitung schaffte.


iPhone-Foto von Birnen auf meiner Kommode zu Hause. Foto von John Robertson.

Kreativität und unkonventionelles Denken hören nicht einfach auf, wenn Sie Ihre Kamera wegpacken. Einige meiner besten Bilder habe ich nur mit meinen Augen gemacht! Ja, genau, Sie sollten nie aufhören, kreativ zu sein oder über Kreativität nachzudenken. Heutzutage habe ich, die wie meisten von uns, immer meine Handykamera zur Hand, und wenn ich etwas sehe, wie das Sonnenlicht, das zu Hause auf die Früchte auf meiner Kommode fällt, dann ist es nur natürlich, dass ich dieses Bild für die Nachwelt festhalte.

Das Gleiche geschieht häufig auf dem Hin- oder Rückweg zu einem bezahlten Auftrag und wenn sich eine Gelegenheit bietet, nutze ich sie, wann immer die Zeit es erlaubt, denn man weiß nie, ob man eine zweite Chance erhalten wird.
Diese Replik eines U-Boot-Kommandoturms ist ein gutes Beispiel dafür – ich habe es eines Abends aufgenommen, als ich auf dem Rückweg von einem Auftrag war. Es ist ein Requisit auf dem Film ‚U-571‘ und soweit ich weiß, es ist inzwischen für immer verschwunden, da das Sperrholz schon am Verrotten war, als ich dieses Bild machte.


Filmrequisit für ‘U571’. Foto von John Robertson.

Wenn ich also in der Zeit zurück reisen und mit meinem siebzehnjährigen Selbst reden könnte, welchen Rat würde ich ihm geben?
Ich denke der wichtigste Tipp ist, unkonventionell zu denken und nicht immer das offensichtliche Foto zu machen. Überlegen Sie, was Sie sonst noch aufnehmen könnten. Trauen Sie sich, anders zu sein.
Folgen Sie nicht der Masse. Bei einer Veranstaltung schauen Sie sich im Hintergrund um und sehen Sie, was hinter der Bühne passiert. Wenn es Probleme mit dem Wetter gibt, wie starken Regen, Nebel oder Wind, schauen Sie, ob Sie das zu Ihrem Vorteil nutzen können, wie ich es bei meinem Foto des Autors Alan Moore tat, das ich für The Atlantic Magazine aufgenommen habe. Ein wirklich stürmischer Tag ist im Endeffekt eine kostenlose Windmaschine!


Der Autor Alan Moore, fotografiert an einem sehr windigen Tag. Foto von John Robertson.


Lassen Sie sich nicht von mangelnder Ausrüstung einengen und denken Sie nicht, dass Sie die neueste Ausstattung brauchen. Die wichtigste Ausrüstung, die Sie zum Aufnehmen kreativer Fotos besitzen, sind Ihre Augen und Ihr Hirn. Jeder von uns ist einzigartig und wir alle sehen die Dinge anders.
Als Siebzehnjähriger aus einem winzigen Dorf in einem entlegenen Teil des Vereinigten Königreichs war ich in diesem Alter ziemlich schüchtern. Aber die Weisheit des Alters hat mir beigebracht, dass die Schüchternheit mit dem Alter nachlässt und häufig eröffnen sich die besten Gelegenheiten, wenn man einfach nur mit den Menschen redet, ganz sicher hilft dies bei der Portraitfotografie.

Die Jahre haben mich auch gelehrt, nicht zu zögern. Wenn Sie ein tolles Foto sehen, dann machen Sie es gleich an Ort und Stelle! Selbst, wenn die Belichtung nicht perfekt ist oder andere Elemente fehlen. Sie können immer noch etwas verbessern, aber manchmal bekommen Sie nur die eine Chance und alles passiert so schnell, dass die Chance für immer verfliegt, während Sie noch darüber nachdenken.
Bewahren Sie sich auch einen offenen Geist. Gehen Sie nicht mit einer Liste vorgefertigter Ideen zu einer Veranstaltung oder einem Fotoauftrag. So entgehen Ihnen die Dinge, die sich aus dem Stegreif ergeben, während die Ereignisse sich entwickeln.
Die Fähigkeiten eines Fotografen in der Beleuchtung und im Bildaufbau automatisieren sich mit zunehmendem Alter mehr oder weniger. Darum würde ich dem siebzehnjährigen Ich raten, diese wirklich zu üben und die Werke von Top-Fotografen und Künstlern zu analysieren und so viele Filme wie möglich darüber zu schauen, wie diese beleuchtet sind und wie die Aufnahmen aufgebaut sind.
Und vor allem: Haben Sie Spaß und scheuen Sie sich nicht, zu experimentieren!
Wie bei meinem Bild des Warzigen Lemurenfroschs. Nachdem ich viele verschiedene Fotos aufgenommen hatte, von denen mich keines wirklich packte, sagte der Besitzer „Als nächstes bitten Sie mich wohl, ihn mir auf den Kopf zu setzen“. Die Idee war mir noch gar nicht gekommen. Also bat ich ihn darum.


Ein Halter mit seinem exotischem Haustierfrosch. Foto von John Robertson.
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John Robertson is a Manfrotto Ambassador and freelance photographer with the UK National and International press. He also works for commercial clients and produces both editorial and commercial videos.

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